Drei Meldungen, die zusammen genommen die Situation der deutschen Kulturpolitik sehr gut abbilden: 1,1 Millionen für die Provenienzforschung, 119 Millionen Museumsbesucher und die neue BKM ist eine Frau.
„Mehr Geld für Raubkunstforschung“ überschrieb die Süddeutsche Zeitung ihre Meldung auf Seite 2 des Feuilletons am vergangenen Wochenende. Doch das ist falsch. Zwar handelt es sich um weitere 1,1 Millionen Euro aus dem Etat des Beauftragten für Kultur und Medien des Bundes – der da noch Bernd Neumann hieß –, aber nicht um „mehr Geld“: Die „Arbeitsstelle für Provenienzforschung„, kurz AfP, erhält nämlich in jedem Jahr insgesamt zwei Millionen aus diesem Topf, und zwar in zwei Tranchen. Die zum Jahresbeginn 2014 umfasst 1,1 Millionen für neue oder fortgeführte Projekte, dieses Mal an 15 Museen von Bautzen über Gottorf bis Wiesbaden. Das ist die seit einiger Zeit übliche Anzahl und Summe. Offenbar ist das aber in der Kulturredaktion von Deutschlands meistverkaufter Qualitätszeitung nicht bekannt. Stattdessen sind die Kollegen auf einen der simpleren Tricks des Politfuchses Bernd Neumann reingefallen: Die stillschweigende Konnotation. In diesem Fall funktioniert das so: Weil der Fall Gurlitt den Themenkomplex Raubkunst und Provenienzforschung gerade so schön in den Fokus rückt, wird in diesem Kontext die Meldung von einer Millionensumme für die AfP lanciert. Und siehe da, selbst die Großjournalisten aus München verbreiten brav die Mär von einer verstärkten Anstrengung der Regierung – die es tatsächlich gar nicht gibt.
So geht das seit Jahren. Erst in der letzten Woche hat der Deutsche Museumsbund wieder die jährlichen Besucherzahlen veröffentlicht. 119 Millionen Mal wurde demnach in 2012 ein Ticket für die 5000 Museen und 350 Ausstellungshäuser ausgegeben, die an der Statistik beteiligt sind. Der Kulturstaatsminister kommentiert diese Zahl schon länger inhaltlich quasi identisch, seit letztem Jahr aber mit einer kleinen Einschränkung. „Museen sind populärer als die Bundesliga“ lautete die jüngste Überschrift seiner Pressemitteilung – weil die 36 Vereine ja nur 18 Millionen Besucher haben. Bis ins Frühjahr 2012 lautete die Sprachregelung des BKM allerdings noch, dass die hiesigen Museen sogar mehr Besucher hätten als der Fußball in Deutschland insgesamt. Die entsprechenden Pressemitteilungen des BKM sind mittlerweile sogar aus dem Online-Archiv des Bundespresseamtes verschwunden. Ob da irgendwann mal der DFB mit seinen 6,7 Millionen Mitgliedern eingeschritten ist, weiß ich nicht. Aber ich weiß, dass es in dessen Reihen allein 3,5 Millionen aktive Fußballer gibt. Wenn die alle, wie in den höheren Klassen üblich, jeweils 34 Spiele im Jahr absolvierten, wären schon exakt genauso viele Menschen auf den Plätzen und in den Stadien gewesen wie in den Museen, nämlich 119 Millionen. Wohlgemerkt: Eltern und Freunde an der Bande sind da noch nicht mitgezählt, eben sowenig die je nach Liga Hunderte, Tausende oder eben Zigtausende auf den Rängen. Im chronisch vernunftabgewandten Feuilleton ging die Milchmädchenrechnung Neumanns trotzdem alljährlich zuverlässig auf und wurde zu einer Art stiller Wahrheit. Sogar ausgewiesene Nachdenker des Ressorts wie der – Achtung: Zirkelschluss – Provenienzexperte Stefan Koldehoff vom Deutschlandradio beteten in ihren Moderationen und Beiträgen die Neumannsche PR-Formel des Mehr-Menschen-in-Museen-als-beim-Ball nach. Klingt ja auch spektakulär – ist aber halt leider falsch! Das hat selbst Neumann irgendwann eingesehen und sprach zuletzt nur noch von „den Bundesligen“ …
Nun wird Monika Grütters die Beauftragte für Kultur und Medien des Bundes und damit Staatsministerin im Kanzleramt. Sie ist, anders als Neumann, im Kunstbetrieb regelrecht sozialisiert: Kunstgeschichtsstudium in Münster, Sprecherin der Bonner Oper, später eines Berliner Museums sowie eines Buch- und Verlagshauses. Trotz dieser Vita stammt sie nicht aus der Schöngeist-Fraktion der ersten Amtsbekleiderinnen Naumann, Nida-Rümelin und Weiss. Die konnten zwar alle super reden, im politischen Berlin aber nichts durchsetzen; weil sie da, wo die wichtigen Dinge – vielleicht zur allgemeinen Überraschung auch heute noch – entschieden werden, keinen kannten: Im Parlament. Monika Grütters dagegen ist eine Art Synthese der Rollenmodelle „Neumann“ und „Schöngeist“: Ein politischer Vollprofi mit Kulturnähe. Zuletzt war sie vier Jahre lang Vorsitzende des Kulturausschusses im Deutschen Bundestag. Und bei der Wahl im September sogar Spitzenkandidatin der Berliner CDU. Wer im intriganten Männerhaufen der Hauptstadt-Union reüssiert, den kann so leicht nix schocken. Und auch ein paar Strippen ziehen, wenn’s drauf ankommt. Nicht zuletzt Steffen Kampeter wird das freuen, der als Parlamentarischer Staatssekretär beim Finanzminister den Schlüssel zur bundesrepublikanischen Haushaltstruhe auch künftig in Händen hält.
In einem ihrer zahlreichen Jobs hat Grütters zudem hoffentlich gelernt, wo die Möglichkeiten und Grenzen der PR sind: Nach ihrer Zeit in kulturnahen Betrieben war sie mal Öffentlichkeitsarbeiterin für die skandalgeschüttelte Berliner Bankgesellschaft. Die Lehren aus dieser Krisenzeit sollten lauten: Nimm‘ dir nicht mehr vor, als du leisten kannst, und erzähl‘ vor allem keinen Scheiß darüber – irgendwann kommt es nämlich doch raus. Wenn die Spitzenkraft der bundesdeutschen Kulturpolitik die Museen im Land künftig nicht mehr mit Fußballstadien vergliche, wäre das schon mal ein guter Anfang!