„Kultur für Alle“: Das Ideal braucht eine neue Deutung

Die Kultur atmet auf: Das Publikum ist zurück! Doch ist das wirklich eine gute Nachricht? Die jüngsten Krisen bieten die lang ersehnte Gelegenheit, sich von ein paar Lebenslügen der (west-)deutschen Kulturpolitik zu verabschieden. Wer wirklich »Kultur für Alle« will, muss anders fördern als bisher.

Heute beginne ich mit einem persönlichen Bekenntnis: Ich kann Oper nicht leiden! Verstehen Sie mich bitte nicht falsch: Mir leuchtet die Bedeutung der Kunstform Oper durchaus ein, und ich halte die hiesige Operntradition für eine große Errungenschaft der deutschen Kulturgeschichte. Aber ich … ich kann mir das leider nicht angucken und -hören. Der Gesang bereitet mir körperliches Unwohlsein, ich verspüre jedes Mal Fluchtreflexe, wenn ich es doch probiere. Das meine ich genauso, wie ich es schreibe, ohne jede Übertreibung oder Koketterie. Mit Ballett und Tanztheater geht es mir übrigens ähnlich. Ich kann einfach nichts damit anfangen – und für mich als Wuppertaler ist das besonders bitter, wegen Pina Bausch und so. Dagegen gehe ich regelmäßig ins Theater und noch öfter in Kunstmuseen. Max Bruchs »Kol Nidrei« erschüttert mich jedes Mal, Brahms‘ Klavierquartett Opus 25 ebenso. Aber ich gestehe auch: So gut wie jeder Song von Prefab Sprout, Emiliana Torrini oder Sophie Hunger sagt mir mehr.

Eine Ausnahme von der Regel bin ich damit nur in meiner beruflichen Filterblase, dem Kultursektor im engeren Sinne. Zwar gibt es für den Popbereich insgesamt bloß Schätzungen, aber nach denen war vor Corona rund ein Drittel der Gesamtbevölkerung mindestens einmal im Jahr bei einem Livekonzert. Das sind rund 25 Millionen reale Besucher*innen und entsprechend mehr verkaufte Tickets. Zum Vergleich: die Opernhäuser in Deutschland haben 2019 rund 3,8 Millionen Eintrittskarten verkauft, der Tanz 1,7 Millionen. Wir alle wissen, dass es sich bei diesem Publikum zudem um notorische Wiederholungstäter handelt – die Zahl der realen Besucher*innen lag also deutlich unter diesen Werten.

Die dauerhaften Teilhabebemühungen kaschieren einen Machtanspruch

Natürlich kann man daraus den Schluss ziehen, dass die überwältigende Mehrheit der Menschen in Deutschland auch nach 50 Jahren Öffnungsdebatten, Kultureller Bildung und aller möglichen Vermittlungsanstrengungen above and below the line weiterhin nur nicht den Zugang zum Kanon der europäischen Hochkultur gefunden hat. Und dass im Sinne des staatlichen Kultur- und Bildungsauftrages deshalb ebenso weiter ihre Ferne in Nähe und am besten in einen dauerhaften Kontakt mit dem Guten, Wahren, Schönen verwandelt werden soll – so wie es den chosen few schon mit in die Wiege gelegt wurde. Denn genau das ist die Denke hinter »Kultur für Alle« in der seit Jahrzehnten praktizierten Version: Wenn wir Kulturbürgertum uns nur richtig Mühe geben und ihr Unverzauberten euch auch, dann müsst ihr nicht auf ewig verloren sein für … ja, für was eigentlich? Die Antwort lautet: Für den von uns festgelegten Kanon. Der hat zwar mit euren kulturellen Interessen wenig zu tun, sichert aber unsere Deutungshoheit und damit Macht.

Man kann allerdings auch den ganz anderen Schluss ziehen, dass es große Kunst gibt, die aus vielerlei Gründen trotzdem nur eine kleine Minderheit berührt oder gar begeistert. Die große Mehrheit wäre dann keine traurige Schar verlorener Töchter und Söhne, die ohne Trost und Schönheit durch ein ewiges Tal kultureller Finsternis wandeln, sondern würde nur ganz schlicht von anderen Kulturangeboten fasziniert und erbaut. Ob Techno oder Metal, »Game of Thrones« oder »One Piece« (gerne googlen), Billie Eilish oder Ren (auch googlen, Suchwort »Hi Ren«) – der Kunstformen und Künstler*innen jenseits unserer öffentlich finanzierten Einrichtungen sind nicht nur viele, sondern sie sind oft auch anspruchsvoll, komplex, tiefschürfend. Wenn man das anerkennt, erschließt sich allerdings nicht mehr, warum junge Menschen für ein Wochenende in Wacken 299 Euro Eintritt zahlen müssen, während drei Abende in der Oper sie nur 30 oder höchstens 60 Euro kosten. Weil die Oper irgendwie »besser« für ihr geistiges Leben oder die Gesellschaft insgesamt ist? Come on!

Es kommen immer die Gleichen, jetzt wieder öfter

In einem Gastbeitrag für die Neue Zürcher Zeitung hat der Schweizer Kulturmanager Pius Knüsel (vor elf Jahren Teil des vielgeschmähten »Kulturinfarkt«-Autorenquartetts) unser bisheriges »Kultur für Alle«-Konzept ein »Subventionsprogramm für Gebildete und Begüterte“ genannt. Obwohl der Subventionsbegriff selbst von ihm in diesem Satz formal falsch verwendet wurde: Der aktuelle Blick in unsere Theater, Opern und Kunstmuseen, aber auch in weite Teile der sogenannten Freien Szene taugt leider nicht dazu, seine These in ihrem Wesen zu widerlegen. Und »das Publikum kommt zurück«, fasste Geschäftsführer Gerald Mertens Anfang Februar eine Trendstudie seines Musik- und Orchesterverbandes unisono zusammen. Auch eine nichtrepräsentative Blitzumfrage meinerseits bei rund 40 Kulturinstitutionen jeglicher Couleur in Nordrhein-Westfalen bestätigte Anfang März: Museen und Bibliotheken, Theater und Konzerthäuser, auch die Soziokulturellen Zentren füllen sich wieder. Nicht alle gleichermaßen, aber mit eindeutiger Tendenz.

Das sei allerdings ein »trügerisches Bild«, warnte die Kultursoziologin Vera Allmanritter vom Berliner Institut für Kulturelle Teilhabeforschung (IKTf). Dessen Erhebungen – Berlin betreibt als einziges Bundesland ein permanentes Kulturmonitoring – zeigen, dass vor allem das Stammpublikum der Einrichtungen jetzt noch häufiger kommt (bis auf die ganzen Alten, die sind offenbar weiter vorsichtig). Die bisherigen Gelegenheitsnutzer erscheinen dagegen noch seltener als früher – und alle anderen bleiben weiter weg. »Wann wird es wieder so, wie es noch nie war?«, überschrieb Allmanritters Kollege Thomas Renz seinen Artikel zu diesen Ergebnissenin der Januar-Ausgabe der Zeitschrift »Kulturmanagement Network«.

Was soll Allgemeine Daseinsvorsorge im Kulturbereich heißen?

Denn ganz ehrlich: Es gab nie eine Zeit, in der sich auch nur weite Teile der westdeutschen(!) Bevölkerung in staatlich finanzierten Kulturorten versammelt hätten, geschweige denn alle (anders als in der DDR, weil faktisch fast jede öffentliche Veranstaltung staatlich initiiert oder legitimiert war). Tatsächlich hatten nur Kino, Radio und Fernsehen mal für ein paar Jahrzehnte einen Effekt, den die Autorin und legendäre Grimme-Preis-Jurorin Barbara Sichtermann schon vor Jahrzehnten mit dem Begriff »Lagerfeuer der Moderne« angemessen historisiert hat. Wir sollten also die Gunst der postpandemischen Stunde und ihres disruptiven Momentums dafür nutzen uns zu fragen: Was wollen wir als Teil der Allgemeinen Daseinsvorsorge, zur Bewahrung des kulturellen Erbes und angesichts der Notwendigkeit von Experimenten für die Zukunft der Künste mit staatlichen Mitteln fördern, wenn das Ziel ein nachhaltiges Kulturangebot für eine wirklich inklusive Gesellschaft ist? Also: Was genau?

Die ehrliche Antwort darauf kann angesichts des mitunter verschwindend geringen Interesses weiter Teile der Bevölkerung für unsere Kultureinrichtungen nur anders aussehen als das, was wir bisher tun. Das meint explizit nicht, dass Bund, Länder und Kommunen weniger Geld für Kultur ausgeben sollen, sondern dass sie dieses Geld tatsächlich im Interesse und zu Gunsten aller einsetzen. Dazu braucht Hilmar Hoffmanns hehres Ideal von der »Kultur für Alle« endlich eine zeitgemäße Deutung, zu der auch eine – sozialverträgliche – Kultur des Aufhörens gehören muss.

Dieser Text ist in einer leicht veränderten Fassung Anfang April in den »Kulturpolitischen Mitteilungen 180« erschienen, der aktuellen Ausgabe des Vierteljahresheftes der Kulturpolitischen Gesellschaft e.V.

Foto: (c) Peter Grabowski / der kulturpolitische reporter

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Zur Kenntnis extra: Unser Leben ist vorbei

1934 schrieb Cole Porter das Musical »Anything Goes«. Aus dem Titel wurde in den Jahrzehnten danach das zentrale Credo der westlichen Wohlstandsgesellschaften: Jede*r kann einfach alles tun und haben (insofern sie oder er es sich leisten kann). Aus nachvollziehbaren, aber trotzdem nicht guten Gründen fällt uns schwer zu begreifen: Damit ist jetzt Schluss!

Das meint explizit nicht die individuelle und gesellschaftliche Vielfalt, die seither erreicht wurde und die es unbedingt zu bewahren gilt – es geht um den rücksichtslos hedonistischen Konsum von Waren und Dienstleistungen, dem die Sicherung der natürlichen Lebensgrundlagen schlicht egal ist. Spätestens in den 1980er Jahren wurde „Anything goes“ nämlich vom Motto einer kreativen, urbanen Avantgarde aus Kunst und Werbung sowie des immer weiter am Renditerad drehenden Kapitalismus‘ zum kulturellen Mainstream: Alles geht für alle, am besten jetzt und natürlich unbegrenzt. Erdbeeren im Winter und grüner Spargel aus Peru; am Wochenende nach Mallorca oder New York, in den Urlaub nach Bali oder Australien; die Autos immer größer, schwerer, schneller und die Klamotten immer öfter kaufen, tragen, wegwerfen – alles ist möglich, und alles musste auch sein. Der Neue-Deutsche-Welle-Hit »Ich geb‘ Gas, ich will Spaß« brachte dieses Lebensgefühl weiter Teile der sogenannten Ersten Welt auf den popkulturellen Punkt. Und an diesem Wesen sollte der Rest des Globus‘ bestenfalls gleich mit genesen oder wenigstens davon träumen.

Absurd: Wachstum als Dogma der Kultur

Diese Mentalität hat auch »die Kultur« erfasst und dominiert ihr Denken bis heute. Es folgt einer durch und durch kapitalistischen Wachstumslogik: Mehr Veröffentlichungen, mehr Konzerte, mehr Inszenierungen, mehr Premieren, mehr Künstler*innen, mehr Orte, mehr Räume, mehr Geld … stets begründet als angeblich unverzichtbare »Investition« in die Demokratie und den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Dass es um beide heute besser als oder auch bloß genauso gut stünde wie vor zwei, drei oder fünf Jahrzehnten, wird dabei niemand ernsthaft behaupten wollen. Der angebliche democratic return on cultural invest war und ist in Wahrheit nie mehr gewesen als gut getarnte Eigen-PR: Mehr Kultur ist immer gut – und zwar für die Kultur!

Während deren Angebot über die Jahrzehnte hinweg stetig ausgebaut wurde, geriet seine Finanzierung und vor allem die Bezahlung der allermeisten Schöpfer*innen – ob in Festanstellung, mit einem Honorarvertrag oder in geförderten Projekten – immer prekärer. Die Infrastruktur wurde ständig erweitert, ihr Betrieb und auch ihre Pflege aber nie auskömmlich finanziert; von ihrer Weiterentwicklung oder gar der lange absehbar nötigen Transformation zu Nachhaltigkeit, Digitalität und Diversität ganz zu schweigen. Dabei hätte es gerade in der wirtschaftlichen Boomphase ab 2010 nochmal ausreichend Gelegenheit dazu gegeben: Die Kulturetats von Bund, Ländern und Kommunen stiegen in dieser Zeit deutlich stärker als die Inflation. Doch anstatt endlich die strukturellen Defizite im Bestand zu beheben, wurden wieder nur mehr Orte geschaffen, mehr Projekte ins Leben gerufen und mehr Förderlinien eingerichtet.

Es gibt keine Ausreden: Die deutsche Kulturpolitik hat versagt

Heute muss man feststellen: Die deutsche Kulturpolitik hat in den vergangenen Jahrzehnten auf breiter Front versagt! Denn es wussten ja immer alle Verantwortlichen in Ministerien, Kulturdezernaten und Parlamenten beispielsweise, wie wenig nicht nur in freien Ensembles von Theater und Musik oder der breiten Masse Bildender Künstler*innen, Autor*innen und Übersetzer*innen verdient wurde, sondern sogar vom Gros der festangestellten Schauspieler*innen an öffentlichen(!) Bühnen – und sie haben nicht mal versucht, das zu ändern. Erst die drängende Not der Pandemie konnte beim Thema Mindestgagen für Freie Künstler*innen wie auch beim Einstiegsgehalt des Bühnentarifvertrages zumindest ein bisschen was bewegen.

Aber auch der jämmerliche Zustand zahlloser Gebäude mit kultureller Nutzung samt ihrer technischen Ausstattung war kein Geheimnis, von den Klimabilanzen mal ganz zu schweigen. Doch anstatt mit Klugheit und Weitsicht für resiliente Strukturen in der Zukunft zu sorgen, wurde in Zeiten besser gefüllter Kassen einfach immer weiter Neues beschlossen und oft zu teuer gebaut. Konsolidierung? De-Growth? Krisenvorsorge? Fehlanzeige!

Nun stehen wir – nach Corona, mitten in einem europäischen Krieg und der höchst dringlichen Nachhaltigkeitswende – vor dem Kollaps. Das Publikum bleibt weg, die Kunst ist ratlos, der Geldfluss auf absehbare Zeit versiegt. Der Staat muss sein pures Weiterfunktionieren auf Pump finanzieren, die Kommunen beschließen aktuell – wenn überhaupt – Rumpfhaushalte, weil niemand weiß, was nächstes Jahr noch in der Kasse sein wird.

Neubestimmung und Transformation: Was wollen wir?

Wir müssen uns endlich eingestehen, auch in der Kultur: Das Leben, das wir hierzulande kannten, ist jetzt wirklich vorbei – und wir brauchen schleunigst ein neues! Darin kann es zwangsläufig nur weniger kulturellen Output geben, wenn die Akteur*innen von den vorhandenen Geldern endlich fair bezahlt werden sollen. Neue Opernhäuser, Museen oder Konzertsäle verbieten sich von selbst, bis die schon existierenden verlässlich gepflegt, modernisiert und in jeder Hinsicht nachhaltig betrieben sind. Und darüber hinaus muss ein breiter gesellschaftlicher Diskurs über Fragen beginnen, die der nicht nur wegen seines viel zu frühen Todes schmerzlich vermisste kulturpolitische Vordenker Bernd Wagner schon vor 20 Jahren gestellt hat: Welche Ziele soll die staatliche Förderung von Kultur im weiteren und Kunst im engeren Sinne eigentlich genau haben? Wo werden diese Ziele von wem festgelegt, und wer kontrolliert wie ihre Erreichung? Soll der Staat Kunst nur um Ihrer selbst Willen finanzieren – oder soll tatsächlich etwas ganz Anderes damit erreicht werden: Diskurs, gesellschaftlicher Zusammenhalt, ästhetischer Genuss, Unterhaltung mit Anspruch?

Dass »die Kultur« ein unverzichtbares Fundament der Demokratie sei, wie Claudia Roth seit ihrem Amtsantritt als Kulturstaatsministerin vor mehr als einem Jahr mantraartig vor sich selbst und uns allen herbetet, klingt in den Ohren des Soziotops zwar wie Musik, folgt aber faktisch nur dem Motto „Böse Menschen haben keine Lieder“; von jeher ein gefährlicher Glaube, der sich in Deutschland spätestens mit dem 30. Januar 1933 erledigt haben sollte.

Kulturpolitik statt Symbolpolitik

Kulturförderung durch die öffentliche Hand als Teil der Allgemeinen Daseinsvorsorge steht vor den größten strukturellen, konzeptionellen und im wahren Sinne des Wortes ideellen Herausforderungen seit dem Ende der NS-Diktatur. Auch die zuletzt neu gewählten Regierungen – im Bund, in Berlin, NRW und Schleswig-Holstein – bleiben die notwendigen Antworten weiter schuldig. Fünf Millionen Euro für ein Green Culture Desk aus dem Bundeshaushalt oder drei neue Beratungsstellen für Transformation zwischen Aachen und Bielefeld sind genau die Art von Symbolpolitik, die uns in die gegenwärtige Dauerkrise gebracht hat. Deshalb muss unser (gewohntes) Leben jetzt vorbei sein – in unserem ureigensten Interesse.

Dieser Text ist eine leicht veränderte Version meiner Kolumne kupores quartal in der aktuellen Ausgabe der „Kulturpolitischen Mitteilungen“; der Dank für das symbolische Bild hier im Blog geht an Holm Friebe.

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ZUR KENNTNIS extra: Ein Nicht-Skandal!

Gut 100 Millionen der insgesamt zwei Milliarden Euro „Neustart“-Hilfen für die Kultur hat die Bundesregierung in die Bildende Kunst verteilt. Etwa ein Drittel davon haben mehr als 230 Galerien und Kunsthändler erhalten, darunter auch solche, die wider Erwarten keine finanziellen Verluste während der Pandemie erlitten haben. Das hat eine Recherche von Deutschlandfunk Kultur ergeben. Skandalös ist daran: nichts.

Die Kolleg*innen beim Deutschlandfunk Kultur haben getan, was Journalist*innen tun sollten: Recherchiert, wer wofür staatliche Gelder erhält; in diesem Fall der Kultursektor während der Corona-Krise. Was sie bei genauerem Hinsehen nicht gefunden haben, ist etwas Verwerfliches: Der Staat hat in einer ein- und erstmaligen Situation und für seine Verhältnisse extrem schnell versucht, die kulturelle Infrastruktur des Landes zu sichern; die eigene staatliche wie auch die privatwirtschaftliche. Wegen der Dringlichkeit – auf die nicht zuletzt Kommentator*innen des Deutschlandfunks seit dem Frühjahr 2020 immer wieder in teils dramatischen Appellen hingewiesen haben – wurde auf Bedarfsprüfungen explizit verzichtet, weil das die Bewilligung der Mittel stark verzögert hätte. Unter anderem gab und gibt es bis heute für solche Prüfungen im Kulturbereich weder Regeln noch Fachkräfte. Es war im Übrigen (zeit)aufwändig genug – davon können alle Beteiligten sehr traurige Lieder singen -, die Hilfen konform zum Beihilferecht der EU und den formalen Vorgaben von Bundesverwaltungsamt und Bundesrechnungshof hinzukriegen. Dass in der Folge auch einzelne international tätige Top-Galerien und -Künstler*innen (in der Relation eher unbedeutende) meist fünfstellige Summen aus einem Milliardenprogramm erhalten haben, kann man im Nachhinein unnötig finden, ist aber nun wirklich kein Skandal.

Nicht zuletzt im Deutschlandfunk Kultur jedoch wurde in Berichten, Interviews und Kommentaren seit März 2020 immer wieder das Narrativ bedient, der Kultur sei in der Pandemie nicht wirklich geholfen worden. Dabei wurde nahezu durchgängig ignoriert, dass sie sogar der einzige (sic!) Bereich war, den der Bund mit einem eigenen Hilfsprogramm unterstützt hat; das hatten vor allem Gastronomie und Tourismus (und sogar die Autoindustrie) auch gewollt, aber nicht bekommen. Nun zwei Jahre später durch raunende Formulierungen wie „Kunst des Lobbyierens“ oder „der Verband scheint gleichberechtigter Verhandlungspartner der Politik zu sein“ den Eindruck zu erwecken, Teile der Kultur- und Kreativwirtschaft, also Künstler*innen und Kunsthändler*innen, hätten sich auf fragwürdige Weise an Steuergeldern bereichert, ist jedenfalls bemerkenswert. Die bislang bekannten Rechercheergebnisse legitimieren diesen Verdacht nicht. Mit anderen Worten: Der sprachliche Ausdruck passt zugunsten von Skandalisierung nicht zur Sachlage. Diese Methode kennt man in unserer Branche allerdings nur zu gut – von BILD und Springer.

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