Zur Kenntnis extra: (K)Eine Wahl für die Kultur

Am Sonntag wählt NRW einen neuen Landtag. Die Kultur steht zwar in allen Wahlprogrammen weit hinten, die vier Parteien mit Chancen auf eine Regierungsbeteiligung wollen aber trotzdem viel. Das ist das Problem: Alle wissen, dass es nicht weitergehen kann wie bisher – doch alle versprechen noch mehr vom Gleichen.

Die Christdemokraten haben die Latte ganz schön hochgelegt: 50 Prozent mehr im Kulturetat, so stand es schon 2017 im Wahlprogramm der Partei. Die CDU gewann, vereinbarte eine Koalition mit der FDP, der Haushalt wurde in den fünf Jahren danach schrittweise von 200 auf aktuell 315 Millionen Euro erhöht. Diesen Weg wolle man weitergehen, sagt der kulturpolitische Sprecher der CDU im Landesparlament, der Kölner Parteivorsitzende Bernd Petelkau. Seine Partei liegt in den letzten Umfragen ganz knapp vor der NRW-SPD. Die hatte sich seit dem Wechsel ihres Übervaters Johannes Rau ins Bundespräsidentenamt 1999 schwer getan mit der Kultur. Die Fachpolitiker*innen der Partei um den Wuppertaler Abgeordneten Andreas Bialas standen mitunter fassungslos dabei, wenn ihre bisher letzte Ministerpräsidentin Hannelore Kraft die eigene Kultur-Ferne regelrecht öffentlich zelebrierte. Umso überraschender wollen die die Sozialdemokraten unter ihrem neuen Parteichef und Spitzenkandidaten Thomas Kutschaty nicht mehr kleckern, sondern klotzen. Damit der in Wahrheit selbe Plan trotzdem nach mehr klingt als bei der CDU, wird aus den 50 Prozent binnen fünf Jahren halt eine Verdoppelung bis 2032 gemacht.

Die Chancen stehen also gut, dass auch die nächste Legislaturperiode ein sattes Plus für den Landeskulturetat bringt: Die Grünen – mit einem Ergebnis knapp unter 20 Prozent in den Prognosen die wahrscheinlichsten Regierungspartner für eine Zweierkoalition bis 2027 – nennen bislang keine Zahlen, wollen die Mittel aber laut Wahlprogramm auch „deutlich“ erhöhen. Der bisherige Regierungspartner FDP hat immerhin 20 Millionen mehr pro Jahr als Ziel ausgegeben, ließe sich aber gern hochhandeln, wie der kulturpolitische Sprecher Lorenz Deutsch mir im WDR-Hörfunk erklärte.

20 oder 30 Millionen? Egal, Hauptsache mehr

Profitieren sollen am besten alle: Von den kommunalen Theatern und Orchestern über die Einrichtungen der Freien Szene bis zur Kulturellen Bildung. Für Künstler*innen in landesgeförderten Projekten wird es künftig Mindesthonorare geben, der Ländliche Raum steht, in dieser oder jener Ausprägung, ebenfalls auf der Agenda aller Parteien. Mehr, mehr, mehr – vor allem den von der Pandemie gebeutelten Soloselbstständigen sowie den Ensembles und Einrichtungen der Freien Szene gönnt man es ja auch wirklich von Herzen. Die guten Gründe, immer mehr Geld für Kultur auszugeben, sind Legende: Sie bringe die Menschen zusammen, verhandele die Themen der Stadtgesellschaft, ermögliche Selbst- und Fremderfahrung, erweitere den Horizont und im Zweifel rettet sie auch gleich noch die Demokratie insgesamt vor den Anfechtungen rechter und linker Ideolog(i)en und überhaupt: Kultur ist per se gut … und niemand fragt oder überprüft gar, ob das eigentlich stimmt.

Dann müsste man nämlich noch eine andere Geschichte erzählen: Dass viele Theater und Museen sich seit Jahren den Allerwertesten aufreißen, aber trotzdem bloß eine – mitunter sehr kleine – Minderheit der Bevölkerung an den Bemühungen und Ergebnissen interessiert ist; öffentlich finanzierte Kultureinrichtungen werden bestenfalls von der Hälfte der Bevölkerung überhaupt genutzt, Tendenz fallend. Auch viele freie Kunstprojekte entstehen in Wahrheit nicht etwa, weil die Gesellschaft und ihre Bürger*innen erkennbar nach der ästhetischen Erfahrung mit und in ihnen gieren, sondern weil Künstler*innen sie sich ausdenken, um staatliche Mittel dafür beantragen zu können. Die brauchen viele dringend, weil sie am „Markt“ mit ihrer künstlerischen Arbeit keine nennenswerten Umsätze generieren (können). Damit wir uns gar nicht erst falsch verstehen: Das ist eine Feststellung, die nicht den leistesten Vorwurf an diese Akteur*innen enthält. Selbst was aus fachlicher Perspektive interessant und/oder qualitativ hochwertig ist, wird aber bestenfalls von einem Nischenpublikum erlebt, das in der Regel aus Künstler-Kolleg*innen und ein paar nerdigen Fans besteht. Echte öffentliche Resonanz oder gar Relevanz? Fehlanzeige – die wenigen Ausnahmen bestätigen leider bloß die Regel. Gesellschaftlicher Mehrwert entsteht so kaum: Ein-, zwei- oder dreimal gezeigt verschwindet das Allermeiste im angeblichen kulturellen Gedächtnis, eigentlich aber auf einem riesigen Kunstfriedhof. Es muss ja sofort das nächste Projekt beantragt und realisiert werden, weil man von irgendwas die Miete bezahlen muss.

Alle wissen, wie bekloppt das ist

Dieses System – die viel beklagte „Projektitis“ – war schon immer bescheuert, aber im Zeichen der großen Herausforderungen durch den Klimawandel, die Nachhaltigkeitsziele sowie der immer lauter werdenden Forderungen nach Diversität und Teilhabe viel zu lange (!) vernachlässigter Gruppen rutscht es zunehmend ins Absurde. Wobei eben nicht nur die Freie Szene und die Soziokultur, deren Geschäftsmodelle maßgeblich auf der Ex-und-Hopp-Projektförderspirale basieren, dieser aus der Zeit gefallenen Wachstumslogik schon aus Selbsterhaltungsinteresse immer weiter zwanghaft folgen (müssen). Auch die staatlichen Institutionen, Sprech- und Musiktheater, Museen oder Festivals sind nämlich längst dem Wahn des ewigen Mehr verfallen: Egal, wo man hinsieht, werden mehr Premieren, mehr Ausstellungen, mehr Gastspiele vermeldet – und schnell noch ’n Pop-Up-Event dazwischen. Besonders irre: Alle wissen, wie bekloppt und paradox das ist, denn die Künstler*innen selbst sind wie die Kulturmanagerinnen, -verwalter und -politikerinnen ja nicht blöd, im Gegenteil. Doch niemand durchbricht die Spirale, ein paar mutige Einzeltäter*innen (Christina Ludwig im Stadtmuseum Dresden zum Beispiel) ausgenommen. Entgegen der öffentlichen Belobigung halten von denen aber alle anderen im Interesse der eigenen Existenzsicherung möglichst weiträumig Abstand.

Die eigentlich wichtige Frage wird nicht gestellt

So werden auch im größten Bundesland des größten Mitgliedsstaates der Europäischen Union nach dem kommenden Sonntag wieder zwei, vielleicht auch drei Parteien eine Regierung bilden, die „der“ Kultur nicht nur mehr verspricht, sondern auch gibt. Mit echten Bedarf – jenseits der Förderempfänger*innen selbst – oder gar einer Notwendigkeit hat das alles nichts zu tun. Als Begründung reicht tatsächlich, dass wer die Kunst liebt, von ihr nicht genug bekommen kann, im wahren Sinne des Wortes.

So ist „die Kultur“ im Laufe der Jahrzehnte etwas geworden, das zu sein sie offiziell scheut wie der Teufel das Weihwasser: Ein Luxus, den der Staat sich leistet, weil er das Geld dazu hat – noch nicht mal neue Straßen werden im Automobil-vernarrten Deutschland so schlecht begründet gebaut wie vermutlich jeder zweite Projekttopf entsteht. Daran wird sich in Nordrhein-Westfalen auch in den nächsten fünf Jahren absehbar nichts ändern: In Sachen Kultur bilden die Parteien im Parlament die größtmögliche Koalition, die man sich denken kann. Die wirklich wichtige Frage, was unsere Gesellschaft im Zusammenhang mit Kultur unter Allgemeiner Daseinsvorsorge genau versteht und deshalb fair bezahlt bereitstellen will, wird weder gestellt, geschweige denn beantwortet. Also gibt es auch in den nächsten fünf Jahren nur wieder ein bisschen mehr oder weniger Kulturelle Bildung, Soziokultur, Digitalisierung oder Kreativwirtschaft. Jenseits dieser Details gibt es für die Kultur am Sonntag nicht wirklich eine Wahl.

IN EIGENER SACHE: Für WDR 3 habe ich eine kleine Serie über die Kultur in den Wahlprogrammen der Parteien gemacht. Kann man hier nachhören. Bei WDR 5 gab es in der Sendung „Scala“ einen etwas längeren Einzelbeitrag zum selben Thema. Beide Formate sind keine Kommentare, sondern leicht erweiterte Berichtsformen. Was ich persönlich ganz grundsätzlich zum Thema meine, hat dort nichts verloren – dafür ist hier im Blog der richtige Platz.

Foto: (c) Peter Grabowski

Über derkulturpolitischereporter

Peter Grabowski ist der kulturpolitische reporter in NRW und drum herum
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Eine Antwort zu Zur Kenntnis extra: (K)Eine Wahl für die Kultur

  1. Prof. Dr. Armin Klein schreibt:

    Vor jetzt genau zehn Jahren erschien de „Kulturinfarkt“, der das „Bekloppte“ dieser Förderpraxis öffentlich kritisierte. Die Resonanz aus dem „Betrieb“ war weitgehend verheerend. Also: Auf weitere zehn Jahre des „Beklopptsein“, oder um es mit dem Titel des höchst lesenswerten Buches von Fritz Simon zu sagen: „Gemeinsam sind wir blöd“. Prof. Dr. Armin Klein, Miautor des Kulturinfarkt

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