Von Journalist*innen wird – mit Recht – der Einsatz des Wortes im Sinne von Information, Einordnung und Kommentar erwartet. In wenigen Monaten vollende ich in genau diesem Sinne tatsächlich mein 30. Berufsjahr (das war alles ganz anders geplant, weiß Gott).
Ich habe in dieser Zeit schon einige Phasen miterlebt, in denen es nicht leicht fiel, die richtigen Worte zu finden. Am Tag der Wiedervereinigung, beim Brandanschlag in Solingen, als Kurt Cobain starb und natürlich zu 9/11. Trotzdem ist es meist irgendwie gelungen, rede ich mir jedenfalls ein. Doch jetzt, in diesen Tagen der Turbulenz, bleibe ich oft stumm, und zwar gerade wegen des permanenten Geschnatters. Oft denke ich an den großen Karl Valentin, der fast ein Jahrhundert vor der Erfindung Sozialer Medien den fantastischen Satz geprägt hat: „Es ist schon alles gesagt, nur noch nicht von allen.“ Bei polisphere News stieß ich nun auf eine Anekdote, die Valentins Bonmot ganz aktuell verdichtet.
Der Titanic-Autor Clemens Oettle hatte vor gut drei Monaten einen erst mal einfach nur guten Gag gemacht. Er schrieb auf Twitter:
„Die Idee einer Minderheitsregierung in Thüringen ohne die Linke ist echt ein guter Ansatz, lieber Herr @MikeMohring, aber wenn Sie die Satiriker hierzulande endgültig überflüssig machen wollen, dann muss bitte auch die FDP mit ihren 5% den Ministerpräsidenten stellen.“
Wohlgemerkt, das war am 31. Oktober. Vergangenen Mittwoch um 14.03 Uhr fielen Oettle dazu nur noch fünf schmale Worte ein: „Das darf nicht wahr sein“. Er selbst hatte ja längst alles gesagt.
Seit ich mich professionell journalistisch mit Kulturpolitik beschäftige, wird mir immer wieder mal – meist im im privaten Rahmen – die Frage gestellt, was eigentlich Kunst sei. Meine Antwort fällt je nach Publikum anders aus. Bei einer bestimmten Klientel lautet sie aber stets: „Kunst ist ein Ausdruck von Kontingenz mit den Mitteln der Ästhetik.“ Ich hätte nie gedacht, dass ausgerechnet die Satire eines Tages den Beweis für diese eher steile These liefern würde. Und ganz ehrlich: Ich hätte sehr gern darauf verzichtet.
… und sonst:
- Antipode für Athene: Die Statue des Nazi-Bildhauers Arno Breker soll an ihrem Standort vor einem Wuppertaler Gymnasium eine künstlerische Gegenposition erhalten
. - Aus für Engelsgarten? Das Wuppertaler Schauspiel ist in Geldnöten (und die Problembeschreibungen sind … bergisch-bizarr)
. - Stress in Essen: In der Theater- und Philharmonie-GmbH bekriegen sich Geschäftsführer und Mitarbeiter
. - Aber dafür ist Geld da: Die Stadt Essen übernimmt ab 2022 die Kosten für den Freien Eintritt ins Museum Folkwang
. - Und dafür auch: Frankfurt baut für ’ne Milliarde (Wetten, dass …?)
. - Was braucht es wirklich? Die F.A.Z. hinterfragt die Kriterien für Großinvestitionen in Kulturbauten (die Süddeutsche auch)
. - Die Mehrheit fehlt: Eine repräsentative Umfrage der Uni Hildesheim belegt das breite Desinteresse am Theater (allerdings kommt mir manche Zahl … seltsam vor. Und nachtkritik hat auch Fragen)
. - Berlin geht vor(an): Die Hauptstadt erforscht ihre koloniale Vergangenheit
. - Vorbild Humboldt Lab? Die neuen Nachbarn im Kulturzentrum am Düsseldorfer Hauptbahnhof erproben ihre Zusammenarbeit systematisch
. - Dilettanten olé: Eine Bürgerinitiative möchte das Deutsche Fotoinstitut Düsseldorf in einem gescheiterten Investorenprojekt am Stadtrand unterbringen
. - „Geht’s nicht konkreter?“: Auch in Herford tut die Politik sich schwer mit systematischer Kulturentwicklung(splanung)
. - Besser, aber längst nicht gut: Der Bundestag verabschiedet die umstrittene Ehrenamtsstiftung
. - „Wir auch, wir auch!“ Die Grünen in Rheinland-Pfalz wollen ein Kulturfördergesetz für das Bundesland – sogar die CDU ist dafür (eigentlich nicht zu glauben)
. - Trennung, verspätet: Intendantin Adolphe Binder verlässt das Tanztheater Pina Bausch und die Stadt Wuppertal nimmt ihre gerichtlich gescheiterten Vorwürfe zurück
. - So einfach ist das alles nicht: Bundestagsanhörung zur Hohenzollern-Entschädigung offenbart die Komplexität der Rechtslage
. - Schippe druff: NRW erhöht noch mal die Förderung von Landestheatern und –orchestern
. - Mindestens 12: Gutachter empfehlen der Stadt Düsseldorf ein Dutzend Straßen umzubenennen – der Arbeitskreis düsseldorf postkolonial hält das für zu wenige (PM nur bei facebook)
. - Mehr machen! Der Bund soll nach dem Willen der Koalitionsfraktionen die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik weiter stärken
. - Zu lang gefeiert? FDP im Bundestag sorgt sich um die Clubs in Deutschland UND will sie zum Immateriellen Kulturerbe erklären lassen
. - Gegen die Wand: Sasha Waltz und Johanes Öhmann verlassen das Berliner Staatsballett schon wieder
. - Ohrfeige für den gefühlten Favoriten: Der schriftliche Juryreport zur Kulturhauptstadt 2025 attestiert Dresdens Bewerbung „Unterentwicklung“ (am 23. September wird der Gewinner gekürt)
. - Unfinished Symphony: Neue Misstöne zwischen einflussreichen Jazzern und Freier Musikszene beim Berliner Prestigeprojekt Alte Münze
. - Später Triumph: Matthias Lilienthals Kammerspiele melden den bestbesuchten Dezember seit 10 Jahren
. - IPP, übernehmen Sie! Der WDR kriegt den Erhalt des weltberühmten Studios für elektronische Musik nicht hin
. - Moralische Grenzfragen: 37 Künstler der aktuellen „Golfkrieg“-Ausstellung verlangen den Ausstieg des MoMA-Verwaltungsrates und Blackrock-CEOs Larry Fink aus dem Geschäft mit Privatgefängnissen
. - MoMA? Eine neue Studie legt für dieses Kürzel eine neue Langform nah: „Museum ohne Moderne Arbeit“
. - Düsseldorf? Köln? Berlin? Die städtischen Bühnen in München zahlen ihren Mitarbeiter*innen wegen der hohen Lebenshaltungskosten künftig einen doppelten Hauptstadtzuschlag
Terminhinweis 1: Alle Jahre wieder im Februar ist … nee, nicht Karneval, sondern das kulturpolitische Klassentreffen in Loccum. Dieses Mal zum Umgang mit dem Rechtspopulismus.
Terminhinweis 2: Sicherheitstagung des Deutschen Museumsbundes (oder auch: „Die Folgen von Dresden“) am 19. März in Berlin (Programm folgt – musste ja schnell gehen ;))
Foto KAP1Lab: (c) Michael Gstettenbauer/Stadt Düsseldorf
Gut gesprochen! 👍