Das Herz der meisten Künstler*innen schlägt links – aber das Herz der Linken schlägt oft nicht sooo sehr für die Kunst. Das gilt gerade in NRW, wo Hannelore Kraft als bislang letzte SPD-Regierungschefin sieben lange Jahre ihre ganz persönliche Kulturferne an exponierter Stelle bewies. 2017 konnten CDU und FDP dann (auch deshalb) die Landtagswahl gewinnen.
Unter Ministerpräsident Armin Laschet erfahren Kunst und kulturelles Leben wieder eine deutlich größere Wertschätzung: Er bildete ein Ministerium für Kultur und Wissenschaft, an dessen Spitze steht mit der parteilosen Isabel Pfeiffer-Poensgen eine exzellent vernetzte Frau mit Jahrzehnte langer Erfahrung. Der Kulturetat des Landes soll bis zum Ende der Legislaturperiode 2022 laut Koalitionsvertrag um 50 Prozent erhöht werden. Dieses eh schon ambitionierte Ziel wird allerdings vermutlich sogar übertroffen, wenn die Regierung die Kulturausgaben im bisherigen Tempo weiter steigert.
Gestern hat der Landtag in Düsseldorf beschlossen, die Kultur in NRW 2020 mit mehr als 275 Millionen Euro zu fördern. Das ist die höchste Summe in der Geschichte des Landes, fast 80 Millionen Euro mehr als beim Amtsantritt der Regierung vor zweieinhalb Jahren. Nach Theatern und Orchestern, der Freien Szene und den Dritten Orten, vor allem im Ländlichen Raum, werden im nächsten Jahr auch Museen, Bibliotheken und Musikschulen stärker von den Zuwächsen profitieren. Für 2021 ist dann noch ein großes Revirement der Kulturellen Bildung des Landes angekündigt, und auch dafür wird es mehr Geld geben. Jenseits dessen beteiligt sich das Land mit weiteren 100 Millionen am Bau eines Migrationsmuseums in Köln, des nationalen Fotozentrums in Düsseldorf und des OWL-Forums, der neuen Spielstätte von Nordwestdeutscher Philharmonie und Stadttheater im westfälischen Herford. Der Haushaltsausschuss des Bundestages hatte zuvor bereits überraschend ebenfalls 100 Millionen für diese drei Vorhaben freigegeben.
Die Halbzeitbilanz der Landesregierung im Kulturbereich ist mehr als respektabel, nicht nur wegen des Geldes. Entsprechend ist die Stimmung in der Szene, auch wenn gleichzeitig längst nicht alles gut ist: Weiterhin fließen mehr als 90 Prozent der öffentlichen Förderung in staatliche Institutionen, und nicht nur die Einkommen freier Künstler*innen bleiben erschreckend prekär. Ein Beispiel: Für Schauspieler*innen an städtischen Bühnen liegt das Einstiegsgehalt bei 2000 Euro brutto monatlich. Der Durchschnittsverdienst selbst erfahrener Darsteller*innen rangiert nicht weit darüber. Wir reden hier wohlgemerkt von festangestellten Akademiker*innen in staatlichen Institutionen– kein Ingenieur eines städtischen Bauamts würde für das Geld morgens aufstehen.
Im Hintergrund wartet weiteres Ungemach: Zum einen harren allerorten Kulturbauten aus Vor- und Nachkriegszeit ihrer Generalüberholung. Angesichts von Milliardengräbern wie dem Kölner Opernhaus treiben die Sanierungsfälle nicht nur Kulturdezernent*innen im ganzen Land den Angstschweiß auf die Stirn, bevor überhaupt die Arbeiten beginnen. Zum anderen fördert der Bund – das meint vor allem die Parlaments-Haushälter – seit einiger Zeit noch mehr Kultur-Neubauten. Dafür muss Berlin nämlich nur einmal Geld überweisen, das ist aus den aktuellen Steuerüberschüssen leicht zu stemmen. Der jeweilige Abgeordnete der GroKo kann sich diese Millionen vor Ort im Wahlkreis zudem gut ans Revers heften.
Weil das Grundgesetz dem Bund aber die dauerhafte, institutionelle Förderung von Betriebskosten nur für solche Einrichtungen und Zwecke erlaubt, die von „nationaler Bedeutung“ sind, bleibt das dicke Ende meist an den Kommunen hängen. So rasseln viele eh schon klamme Städte absehbar in die nächste Finanzfalle: Nehmen sie das vergiftete Geldgeschenk aus Berlin nicht an, versteht das gerade jenseits der Metropolen kein*e Bürger*in – und später versteht ebenfalls keine*r (auch nicht bei der Finanzaufsicht in den Regierungspräsidien), warum das dolle Haus jetzt Jahr für Jahr so viel kostet. Wie man’s macht, man macht’s …
… und sonst:
- „Mehr Kultur wagen“: Der Präsident der Kulturpolitischen Gesellschaft, Tobias Knoblich, fordert die Bundesregierung auf, der Verdoppelung des EU-Kulturetats zuzustimmen (nur als PDF, warum auch immer)
. - Neu im Dezember: 42 weitere Kulturformen kommen auf die UNESCO-Liste – und die deutsche Kommission kriegt einen neuen Chef
. - Letzter Stand: Bund, Länder und Kommunale Spitzenverbände aktualisieren die „Handreichung zum Umgang mit NS-Raubgut“
. - „And the winner is …„: Das kulturelle Zentrum Düsseldorfs soll nach einem Entwurf der Büros von Raumhof und Seewerk zum „Blaugrünen Ring“ werden (Entwurf als PDF)
. - 5 aus 8 … werden schon mal nicht Europäische Kulturhauptstadt 2025
. - Deutsches Sozialbewusstsein? MOCA-Chef Klaus Biesenbach erklärt überraschend die Anerkennung der neuen Mitarbeiter-Gewerkschaft
. - Schwere Frage, leicht(gewichtig)e Antwort: Ein Wuppertaler Gymnasium will seine Breker-Statue umräumen – oder auch nicht
. - Schwere Frage, kluge Antwort: Die Düsseldorfer Kunstkommission empfiehlt der Stadt, einen geschenkten Gaul lieber nicht anzunehmen
. - Neustart: Das Pop-Förderprogramm „create music NRW“ wechselt Personal und Träger
. - 0 oder 1? Der Landschaftsverband Rheinland nimmt nur noch digitale Förderanträge an
. - Frau und international erfahren: Hetty Berg wird Direktorin des Jüdischen Museums in Berlin
. - Frau und deutschlandweit erfahren: Andrea Firmenich ist die neue Generalsekretärin der Kunststiftung NRW
. - Von gestern: Der Börsenverein und der Schriftsteller*innenverband wünschen sich die Bibliotheken der Nachkriegszeit zurück (offenbar als Kinderhort der 80er)
. - Der Neue kehrt zurück: Roland Mönigs Berufung ans von-der-Heydt-Museum soll das Gute Ende einer zwischenzeitlich verfahrenen Suche werden
. - Alles wie früher: Das „Haus der Geschichte Nordrhein-Westfalen“ wird als Stiftung auf den Weg gebracht – von Migrant*innen oder auch bloß einer genderparitätischen Besetzung der Gremien ist im Entwurf zum Stiftungsgesetz (PDF) keine Rede
. - Calabrian Connection: Europol stellt Tausende Antiken sicher und nimmt zwei Dutzend Verdächtige fest (aber wieder war’s kein Terror-Netzwerk)
. - „Hau‘ rein!“ Keine drei Wochen nach dem Bundestagsbeschluss war Spatenstich für #M20 (oder #N20? Jedenfalls das hunderte Millionen teure Museum der Moderne bzw. des 20. Jahrhunderts zur Heilung aller städtebaulichen Wunden südöstlich des Tiergartens seit den Villenabrissen für Hitlers irre „Germania“-Pläne)
. - Alibi-Feigenblatt: Das Ressort von EU-Kommissarin Mariya Gabriel heißt jetzt doch was mit Kultur – mehr nicht
. - Für die Galerie: In einem Museum mit LKA-Sicherheitskonzept wird teurer Schmuck geklaut (angeblich sogar die deutsche „Identität“ – bei so manchem journalistischem Gefasel freut man sich regelrecht über die Paywall), schon gibt’s ’ne nationale Sicherheitskonferenz
LESEEMPFEHLUNG 1: „Kolonialismus und Museen“ ist ja gerade Top-Topic – aber Kolonialismus in der Musik? Im Prinzip die gleiche Angelegenheit, behauptet der Komponist Sandeep Bhagwati und kann das in seinem zweiteiligen Essay „Zurückhören bitte“ ziemlich gut begründen (hier Teil 2). Dank an Marc Grandmontagne für den Hinweis!
Leseempfehlung 2: „Entrepreneurship in Museen“ heißt die eben erschienene Broschüre zum jüngst abgeschlossenen Projekt einer Gruppe von Kulturforschern. Zu der gehört auch Henning Mohr, ab Januar 2020 Leiter des Instituts für Kulturpolitik der Kulturpolitischen Gesellschaft. Lektüre lohnt!
Zum Schluss noch meine allerbesten Wünsche für den langjährigen Hauptgeschäftsführer der Kulturpolitischen Gesellschaft, Norbert Sievers, „Mister Soziokultur“ Rainer Bode und den scheidenden Leiter des Landesbüros für Freie Darstellende Kunst, Harald Redmer. Ohne euch wäre die Kulturlandschaft in NRW und ganz Deutschland nicht, was sie ist. Eure Häuser habt ihr zum Abschied gut bestellt – viel Erfolg und natürlich Spaß beim Loslassen des alten und Ankommen im neuen Leben!
Euch und allen Leser*innen wünsche ich schöne Feiertage, einen entspannten Jahresausklang und einen guten Start in ein noch schöneres 2020. Glückauf!
Foto „Blaugrüner Ring Düsseldorf“: (c) Raumwerk GmbH