Düsseldorf sehnt sich weiter nach einer neuen Oper, das Humboldtforum macht auch erst mal nicht auf und jetzt verlässt sogar Udo Kittelmann die Nationalgalerie: Quo vadis, Kulturnation Deutschland?
„Reden Sie kein dummes Zeug, Grabowski“, würde die Kulturwissenschaftlerin Sigrid Weigel mir auf diese Frage vermutlich antworten. Sie hat sich zuletzt nämlich in einer 180 Seiten starken Studie für das Institut für Auslandsbeziehungen (ifa) mit der Auswärtigen Kulturpolitik beschäftigt und räumt darin mit bestechender Logik den zugehörigen Begriffskanon ab: Eine kulturelle Identität, die Kulturnation und auch „das Deutsche“ selbst gibt es nicht, konstatiert die frühere Direktorin des Einstein Forums und Professorin in Princeton.
Das kann eigentlich jeder bestätigen, der sehenden Auges durch die Bundesrepublik reist oder auch bloß eine leise Ahnung von den zutiefst verschiedenen künstlerischen, wissenschaftlichen und philosophischen Ideen hat, die unser Land seit Jahrhunderten (vor-)prägen. EINE Identität? Bereits der Gedanke, hier wie irgendwo anders auf der Welt seien die Menschen alle gleich – und genau das meint ja das Wort „identisch“ – ist schon absurd. Das gilt für jede*n Einzelne*n wie für Gruppen. Wie identisch sind die Mitglieder auch nur einer Familie? Genau!
Nicht alles, was die langjährige Chefin des Berliner Zentrums für Literatur- und Kulturforschung daraus schließt, muss man teilen. Ihr argumentatives Fundament ist allerdings blitzsauber verfugt und wasserdicht. Das sollten sich die Politiker*innen aller demokratischen Parteien am besten sofort aneignen. Damit könnten sie den Populist*innen in den heiklen Debatten über unsere Gesellschaft und eben auch die Kulturen dieses Landes nämlich nicht nur rhetorisch, sondern sogar inhaltlich offensiv begegnen. Und das anstehende Jubiläum des Mauerfalls wäre ja sowieso ein guter, wenn nicht der perfekte Anlass, um über unser Verständnis von Gesellschaft, Staat und Kultur samt ihrer inneren Zusammenhänge grundsätzlich nachzudenken.
Im Auswärtigen Amt allerdings, zu dem der Studienauftraggeber ifa organisatorisch gehört, hat man Sigrid Weigels Bericht offenbar nicht gelesen, wie die Süddeutsche Zeitung auf Nachfrage mitgeteilt bekam. Dabei habe Berlin doch so dringend darauf gewartet, erzählte die Autorin selbst im Deutschlandfunk Kultur. Bemerkenswert ist das, sehr bemerkenswert. Und im ersten Moment möchte man gern wissen, was die zuständige Staatsministerin Michelle Müntefering eigentlich dazu sagt – aber schon im nächsten dann nicht mehr.
… und sonst:
- In eigener Sache, zum ersten: Mein längeres Gespräch mit den Kolleginnen Daniela Junghans und Marion Grob aus dem WDR-Landesstudio Düsseldorf über Kulturministerin Isabel Pfeiffer-Poensgen und die Landeskulturpolitik.
- Thüringer Lohnlücke: Theater-Gewerkschaften haben eine jährliches Defizit von 12 Millionen Euro errechnet und fordern die Angleichung
- Nicht-Besucher-Nicht-Forschung: Der Friedrichshafener Professor Martin Tröndle bläst seine in vielerlei Hinsicht unterkomplexe Befragung von Berliner Student*innen zu einem Markstein der Kulturforschung auf
- Der Club der toten Tondichter: Eine WDR-Recherche zu Opernspielplänen in Nordrhein-Westfalen
- „Social justice, global equality and planetary wellbeing“? Der Internationale Museumsbund ICOM ringt heftig um den künftigen Auftrag der Museen
- Der Mehrwert fremder Wände: Ein Platz in öffentlichen Museen macht die Kunst privater Leihgeber teurer
- „Erster!“? – Magdeburg hat das Bewerbungsbuch für die Kulturhauptstadt 2025 fertig (überlegt Hannover eigentlich immer noch, ob es auch soll?)
- Tonlose Theater? Der Deutsche Kulturrat verlangt im Vorfeld der Weltfunkkonferenz im Oktober von der Bundesregierung einen „Masterplan Funkfrequenzen“
Terminhinweis 1: Die Landesmusikakademie NRW in Heek und das (mittelbar) benachbarte Künstlerdorf Schöppingen feiern Ende kommender Woche im Doppelpack ihre 30-jährigen Bestehen. Große Sause, dringend hin!
Terminhinweis 2: Die Interessengemeinschaft Deutscher Kunsthandel veranstaltet am 14. Oktober eine Fachtagung zum Thema Raubkunst. Titel: „Fair und gerecht? Restitution und Provenienz im Kunstmarkt“
In eigener Sache, zum zweiten: Damit sich niemand meiner Leser*innen wundert, weise ich aus den aktuellen Anlässen Pina-Bausch-Intendanz und gescheiterte Direktoren-Besetzung im von-der-Heydt-Museum noch mal darauf hin, dass ich grundsätzlich nicht über Vorgänge in meiner Heimatstadt Wuppertal berichte. Aus Gründen (Seelenfrieden, körperliche Unversehrtheit usw.)!
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