Afghanistan des Feuilletons

Ob Maut oder Betreuungsgeld, Hauptstadtflughafen oder Rechtspopulismus, die Finanzkrise sowieso: Neben aktuellen Nachrichten aus Berlin, Brüssel und von den Brandherden in aller Welt behandeln die Medien entgegen landläufiger Annahmen viele Themen ausführlich und tiefgehend. Die Kulturpolitik kommt da allerdings so gut wie nie vor. Das ist nicht gut – für Kunst und Kultur und für die Gesellschaft insgesamt.

Wolfgang Börnsen, bis 2013 Obmann der CDU im Kulturausschuss des Deutschen Bundestages, nannte in einem Gespräch im Parlamentsrestaurant die Kulturpolitik mal das „Afghanistan des Feuilletons“: In den Berichten über dieses Land lese und höre er fast nur von Bomben, Terror, Stammesfehden. So wie es immer nur um geschlossene Theater, gestrichene Zuschüsse und gekürzte Etats gehe, wenn die Kulturpolitik in den Medien auftauche – das eine wie das andere komme bloß als Katastrophengebiet vor. Gefühlt mag man ihm Recht geben, faktisch verifizieren lässt sich das nicht, weil sich bislang keine wissenschaftliche Studie mit „Kulturpolitik in den Medien“ beschäftigt hat. Was seltsam ist, denn an der Uni Hildesheim wird am Institut für Kulturpolitik geforscht und nebenan Kulturjournalismus gelehrt. Da böte sich eine solche Studie mindestens an, zumal der Datenmangel notorisch ist. Und das andere Institut für Kulturpolitik hierzulande gehört zur Kulturpolitischen Gesellschaft, für die eine Bestandsaufnahme des medialen Bildes der eigenen Profession ja sogar zu den Kerninteressen zählen sollte. Aber auch hier: Fehlanzeige.

Der Blick auf den Gegenstand muss also bis auf Weiteres phänomenologisch bleiben. Dabei fällt auf: Wirtschafts-, Umwelt-, Finanz- und Sicherheitspolitik zum Beispiel finden breiten Raum in den Medien. Bis in feinste Verästelungen hinein werden einzelne Vorhaben auch weiter vorne in Zeitungen und Magazinen lang und breit erörtert. Ganz im Gegensatz beispielsweise zur Frage nach unserem Umgang mit dem Kulturellen Erbe oder wie Institutionen der Kulturproduktion erhalten und weiter entwickelt werden könnten. In den Massenmedien ist das kein, in den Spartenmedien nur selten Thema. Politische Fragen des Kulturellen haben jenseits des Zirkels der Eingeweihten keinerlei medialen Gesprächswert.

Das liegt auch an den Medien selbst. Deren Macherinnen und Macher müssen stets ihr Publikum im Blick haben. Das fordert schnelle, präzise und knappe Informationen und bevorzugt klar unterscheidbare Standpunkte. Afghanistaneinsatz, Atomausstieg, Ausländermaut – da kann jeder auch ohne echte Sachkenntnis mal eine Meinung haben. Die speist sich jeweils aus allgemeinen politischen Haltungen, grundsätzlichen Überzeugungen und Wertvorstellungen. Ein Beispiel: „Wer auf unseren Straßen rumgurken will, der soll auch zahlen“ – das finden viele schon deshalb richtig, weil sie im Ausland selbst ständig für Vignetten und Mautstraßen berappen müssen. Außerdem folgt es zumindest scheinbar dem Ursache-Wirkungs-Prinzip. Das leuchtet jedem sofort ein; Tenor: „Richtig so!“ Derart klare Zuordnungen in dichotome Kategorien von Schuld und Unschuld oder Gut und Böse gibt es in den oft komplexen kulturpolitischen Fragen nicht. Auch deswegen rangieren sie in den Medien unter „ferner liefen“.

Dazu kommt: Kunst und Kultur sind stets hin- und hergerissen zwischen der Sehnsucht nach Anerkennung durch die „große“ Politik und einer bis ins Paranoide reichenden Angst, zum Spielball jener finstren Mächte zu werden, denen sie von je her mit Skepsis oder gar Antipathie begegnen. Statt also offensiv die Auseinandersetzung mit den Akteuren anderer politischer Felder – vor allem Wirtschaft und Finanzen – zu suchen und in der Folge auf Augenhöhe wahrgenommen zu werden, zieht der Kulturbereich sich mitsamt seiner politischen Repräsentanz gerne ins eigene Biotop zurück: Dort streiten Kulturschaffende dann mit Kulturpolitikern wahlweise um die reine Lehre oder das leidige Geld; natürlich unter aufmerksamer Anteilnahme der jeweiligen Kulturbürokratie. Das ist in seinem offensichtlichen Schutzbedürfnis zwar irgendwie rührend, führt aber ins politische und schließlich auch ins mediale Nischendasein.

Ein echtes Lehrstück dazu war die Debatte um das Buch „Der Kulturinfarkt“ vor zwei Jahren. Die vier Autoren hatten es tatsächlich geschafft, mit ihrer kulturpolitischen Polemik groß in den Spiegel zu kommen. Doch statt aus dieser Vorlage eine breite kulturpolitische Debatte zu machen, wurden Buch und Urheber im Stil der ansonsten im Kulturbereich eher verhassten medialen Populisten von Bild bis RTL behandelt: Erst das Thema skandalisieren, dann die „Verursacher“ zu Buhmännern machen – Ende der Debatte. An diesem Vorgang hatte das Feuilleton übrigens großen Anteil, vor allem das überregionale. Eine in die Tiefe gehende Auseinandersetzung mit den Thesen hingegen fand in den meisten Fachressorts und sogar in vielen Branchenblättern quasi nicht statt.

Dieses Phänomen ließ und lässt sich nicht nur am „Kulturinfarkt“ beobachten. In einer spontanen Umfrage unter einem guten Dutzend willkürlich ausgewählter Akteure der Kulturpolitik für diesen Beitrag wurde unisono beklagt, dass es in der kulturpolitischen Berichterstattung an Raum und Kompetenz mangele. Ob bei Gurlitt oder TTIP: Vieles werde oberflächlich abgehandelt, selten sachkundig nachgefragt und Kulturredaktionen machten sich – bewusst wie unbewusst – oft mit jenem Kulturbetrieb gemein, zu dem sie eigentlich journalistische Distanz wahren müssten. Da ist was dran! Mir hat eine Redakteurin erst vor nicht allzu langer Zeit wortwörtlich gesagt: „Wir sind nicht dazu da, die Kultur zu kritisieren, sondern sie zu beschützen“. Wenn Caren Miosga oder Claus Kleber einen vergleichbaren Satz über die Berliner Politik sagten … na, da wär‘ was los.

Die kulturpolitische Berichterstattung in diesem Land liegt also im Argen. Das hat vor allem mit Psychologie zu tun: Nicht nur Kulturschaffende, auch Kultur-Journalistinnen und Journalisten sind zuerst Kultur-Menschen – Politik und Politiker sind den meisten von der Mentalität her fremd. Doch Willensbildung und Entscheidungsfindung für die Grundlagen und Strukturen des Kulturbereichs und der Kunstförderung sind nun mal politische Prozesse. Wenn die tiefe Skepsis der Kulturmedienmacher dem gegenüber schließlich bis zu einer partiellen Nichtöffentlichkeit der Vorgänge führt, bleibt in der Folge ausgerechnet das kulturaffine Publikum von der Teilnahme an diesen Prozessen ausgeschlossen.

Für die Kultur (im Sinne von „Kunst und Kultur“) ist das fatal, weil die Demokratie ja gerade von der Repräsentanz der Interessen lebt. Und die Kultur-Landschaft ist neben der Wirtschaftsordnung sicherlich das prägendste Element einer demokratischen Gesellschaft. Wenn die zugehörige Kultur-Politik aber nicht mehr Teil der Res Publica, der Öffentlichen Sache ist, wird der Schaden auf lange Sicht größer sein als bloß ein Krisengebiet im Feuilleton.

(Dieser Text ist in leicht veränderter Form bereits in Ausgabe 5/2014 von „politik und kultur“, der Zeitschrift des Deutschen Kulturrats erschienen)

Über derkulturpolitischereporter

Peter Grabowski ist der kulturpolitische reporter in NRW und drum herum
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