800 Teilnehmer aus 37 europäischen Staaten, neben den EU-Mitgliedern selbst können nämlich auch Nachbarn, Freunde und solche, die es werden wollen, an den Brüsseler Förderprogrammen teilnehmen. Zwei Tage intensive Information und regester Austausch über verschiedene Perspektiven auf und neue Wege zum Kulturpublikum.
Von Airan Bergs gelungenen Projekten zur 2009er Kulturhauptstadt in Linz über Rolf Dennemanns Schrebergartenaktion in Dortmund bis zu den interventionistischen Riesenpuppenumzügen von Nikki Webb. Rachel van Riel dreht englische Büchereien auf links, Emina Višnic halb Kroatien, Virginija Vitkienė macht, unter und neben anderem, eine Biennale in Kaunas (wo war das noch mal? Genau, Litauen!). Das ist so ziemlich das genaue Gegenteil vom „Kulturinfarkt“, aber bitte jetzt keine voreiligen Schlüsse: es handelt sich um die europäische Spitzenklasse der Kulturprojekte, nicht um den rumänischen, irischen oder deutschen Theater-, Bibliotheks- und Museumsalltag.
Gefördert wird auch das übrigens mit unser aller Geld, aus EU-Mitteln. Genauer gesagt: Co-Gefördert, denn es müssen immer noch andere Geldgeber mit im Boot sein. Die Kommission will so der Gefahr vorbeugen, dass nationale, regionale oder lokale Institutionen allein auf die Kohle aus Brüssel vertrauen und sich selbst zurück ziehen. Meine Erfahrung mit Politik und Verwaltung in Deutschland sagt mir: mit Recht!
In der nächsten EU-Förderperiode (2014 – 2020) sollen die Etats für Kultur- und Medienprogramme (inkl. Film) zusammengelegt und um 37% auf 1,8 Milliarden Euro aufgestockt werden. Die Abteilungschefin in der Generaldirektion hat gestern Nachmittag in einer zweistündigen Information Session die Ziele, Inhalte und Instrumente vorgestellt, die von der Kommission für diesen Zeitraum vorgeschlagen werden. Dabei ist auch ziemlich schnell sehr klar geworden, warum Brüssel zum Bürokratisieren neigt: Der Vorschlag der Kommission muss nach zweijähriger Erarbeitungszeit nun vom Europäischen Rat im November ein erstes positives Votum bekommen. Daraus ergeben sich weitere Abstimmungsverfahren zwischen Kommission, Ministerrat und EU-Parlament. Läuft das so einigermaßen, könnte im nächsten Sommer der erste Aufruf zur Einreichung von Projektvorschlägen erfolgen. Frühestes Förderdatum ist der Januar 2014, letztes Dezember 2020. Das sind lange Zeiträume, es geht um sehr viel Geld, das in vielen verschiedenen und sehr unterschiedlich strukturierten Ländern eingesetzt wird. Und von denen müssen bei jedem einzelnen Projekt mindestens drei beteiligt sein. Das will erst mal organisiert sein – wer schon mal für andere eine Gruppenreise geplant hat, die oder der weiß, was allein das für ein Aufwand ist.
Kernkriterium für eine Förderung aus EU-Mitteln ist immer, ob sich dadurch ein ‚europäisierender‘ Effekt ergibt. Die Projekte müssen das Kennenlernen, Verstehen und Kommunizieren zwischen den Bürgern, Regionen und Kulturen in der Union erkennbar ermöglichen und/oder verbessern. Mit anderen Worten: Eine gute Idee allein ist nicht schon deshalb EU-fördertauglich, weil sie eine gute Idee ist, sondern erst, wenn sie den europäischen Gedanken fördert. Wer nicht weiß, was das sein soll, kann sich ja noch mal die Begründung des Komitees für den Friedensnobelpreis von letzter Woche ansehen.
Jede Förderperiode greift besondere, nach Einschätzung der Kommission aktuelle Problemstellungen auf. In der Agenda 2020 sind das für die Kultur vier Themenkreise: Der stark fragmentierte Kulturraum in der Union, die digitale Entwicklung, der wissenschaftliche Datenmangel und der Zugang zu Finanzierungen. Letzteres klingt unspektakulär, könnte aber die größten Auswirkungen haben: die Kommission will über das Europäische Investitionsprogramm eine Art Kreditgarantie für Kultur- und Kreativwirtschaftsprojekte einrichten. So könnten aus etwas über 200 Millionen EU-Mitteln dafür insgesamt über eine Milliarde Projektgelder entstehen – zusätzlich zur eigentlichen Förderung.
Die EU-Kommission hat sich für die kommende Förderperiode (Agenda 2020) auch deutlich einfachere Abläufe auf die Fahnen geschrieben. Ob das eine PR-Maßnahme ist, weil der Bürokratie-Unmut in der Union zu laut wurde oder auf echter Erkenntnis beruht, wird man erst noch sehen. Ebenso, ob die dazu beschlossenen Maßnahmen auch den erwünschten Effekt haben. Im Moment verkündet man jedenfalls stolz: Weniger Formalitäten, kürzere Wege, direkte Ansprechpartner. Na dann …
Besagte Abteilungschefin in der Generaldirektion, korrekterweise ‚Head of Unit Cultur Programmes and Actions‘, heißt übrigens Ann Branch und gehört zu den professionellsten Erscheinungen, die ich in 25 Jahren on the job gesehen habe. Allerdings erinnert die sehr unterkühlt wirkende Anglo-Finnin mit Oxford-Abschluss einen auch permanent an ‚Blade Runner‘ und hätte in der Tyrell Corporation eine 1a-CEO-Replikantin vom Typ Nexus 8 abgegeben (sic!).
(geschrieben im Thalys auf dem Weg nach Amsterdam – da guck‘ ich mir jetzt mal das wiedereröffnete Stedelijk Museum an)
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